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Falstaff Magazin Österreich Nr. 4/2023

wein/ BORDEAUX EN

wein/ BORDEAUX EN PRIMEUR Dieser wunderbare Jahrgang wird als einer der Besten in die Weingeschichte von Bordeaux eingehen. Denn er verbindet wie kaum ein anderer davor die Elemente für Zugänglichkeit und enorme Lagerfähigkeit. Er ist das Kind eines trocken-heißen Jahrgangverlaufs und das zeigt er in unglaublich tiefdunkler Farbe und durch die teilweise höchsten in Bordeaux je gemessenen Tanninwerte – auch die Alkoholwerte sind kräftig ausgefallen. Und doch sind keine schweren, harten Rotweine entstanden, sondern Produkte von attraktiver Fruchtaromatik, ausgestattet mit absolut reifen, seidigen und zunächst kaum spürbaren Tanninen, die große Länge vermitteln, und vor allem einer faszinierenden Frische. Bereits in der Jugend zeigen sich die Weine harmonisch, und wie es auch formuliert wurde – nichts schützt den begeisterten Verkoster davor, diese Weine sofort genießen zu wollen. Die Weine zeigen einen klaren Terroirbezug, spiegeln ihren jeweiligen Sortenmix perfekt wider. Das ohnehin mittlerweile etwas vorsichtig eingesetzte neue Holz ist oft nicht einmal in Ansätzen zu spüren. Es ist ein Jahrgang, der dem Verkoster sofort vermittelt: Achtung, ich bin etwas ganz Besonderes! Dennoch bestand bei der Verkostung auch ein wenig die Gefahr, diese tollen Qualitäten recht schnell als etwas Selbstverständliches zu begreifen. Denn die Homogenität der Topweine ist enorm groß. Sie reicht von den Premier Grand Cru Classés über die bürgerlichen Gewächse am linken Ufer bis hinüber zu den Satelliten-Appellationen des rechten Ufers. Der Prozentsatz der Weine, die gewisse Makel aufweisen, ist noch nie so gering gewesen. Die meisten dieser Makel sind auf verspätete Lese zurückzuführen und äußern sich oft in etwas gekochten Fruchtnuancen. Erstes Fazit: Wer rote Bordeaux- Weine liebt und sie kauft, um sie zu trinken, der muss sich in diesem Jahrgang eindecken, denn solche Jahre, in denen man gar nichts falsch machen kann, sind eben sehr selten. Ein kurzer Blick auf die Zahlen: Die Erntemenge betrug in Bordeaux 2022 etwa 410 Millionen Liter, das ergibt rund 550 Millionen Flaschen Wein, 15 % weniger als im zehnjährigen Durchschnitt. TROCKEN UND HEISS 2022 war die Wachstumsperiode der Reben in Bordeaux geprägt von Trockenheit und zahlreichen Hitzeperioden. Bereits am 18. Juni wurden fast 40 ° Celsius erreicht, in Cap Ferret sogar 41,9 °. Den Spitzentemperaturen folgten teils schwere lokale Gewitter, kleinräumig sogar Hagel (besonders am 20. Juni). Wie bereits die drei qualitativ sehr guten Vorgänger in den geraden Jahren 2016, 2018, 2020 hatte 2022 einen sehr trockenen Sommer, aber im Frühjahr kaum Fotos: beigestellt 50 falstaff jun 2023

Die Rotweine von 2022 sind so gut strukturiert, dass die Winzer beim Holzeinsatz sparsam vorgehen konnten. Auch am eindrucksvollen Château Angelus in Saint- Emilion hört man vor Freude über 2022 die Glocken läuten. DAS JAHR 2022 KOMBINIERT FRISCHE, FRUCHT, STRUKTUR UND EIN ENORMES POTENZIAL MIT FRÜHER ANTRINKBARKEIT. Niederschläge. Allein im März und April gab es 50 % weniger Regen als in den drei Vergleichsjahren. Kaum zu glauben, aber genau in diesem Umstand ist die Grundlage für die herausragenden Weine zu sehen – die selbst die erfahrensten Winzer auch wenige Wochen vor der Weinlese nicht erwartet hätten. So erzählte es auch Eric Kohler, der für den legendären Wein von Château Lafite- Rothschild verantwortlich ist: »Die Kombination von großer Trockenheit und Hitze war in dieser Form neu. Und der Wein, der am Ende herauskam, ist eine echte Überraschung. Zunächst konnte niemand diesen Jahrgang verstehen, denn der Wein war viel zu gut und reflektierte in keiner Weise den Jahresverlauf.« Wer aber völlig unerwartet so große Weine im Keller hat, möchte auch das Warum verstehen. Kohler und Kollegen können zumindest bezüglich Klimaerwärmung ruhiger schlafen. < Aufgrund der Trockenheit im Frühjahr verlangsamten die Reben ihr Wachstum und konnten den heißen Sommer gut überstehen. jun 2023 falstaff 51