Falstaff Magazin Österreich Nr. 3/2022

wein / WEINNATION USA

wein / WEINNATION USA DIE ANFÄNGE DES US-WEINBAUS Die Geschichte des Weinbaus in den USA ist primär von den Einwanderern aus Europa geprägt. Über mehrere Jahrhunderte versuchten diese mit sehr wechselhaftem Erfolg, die europäische Weinkultur in Nordamerika zu etablieren. Doch erst seit einigen Jahrzehnten entwickeln sich die USA auch auf diesem Gebiet zur Großmacht. TEXT PETER MOSER Prolog: Als der aus Island stammende Leif Eriksson um das Jahr 1000 nach Christus als wohl erster Europäer Nordamerika erreichte, bezeichnete er das Land als »Vinland«. Die Seefahrer hätten in der neuen Welt wilde Reben gefunden, wird diese Saga deshalb gerne gedeutet. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering. Denn einerseits kann im Altnordischen das Wort Vinland auch als »Weideland« verstanden werden. Und andererseits könnte es sich bei den »Reben« auch um die winterharten Sträucher der Gold-Johannisbeere gehandelt haben, die – im Gegensatz zu Wildreben – im Nordosten Kanadas wächst und die in Skandinavien bis heute als »Vinbär«, also Weinbeere bezeichnet wird. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass Leif Eriksson jemals in seinem Leben echten Wein getrunken hat, eher gering. Neueste archäologische Befunde anhand von Keramikanalyen aus dem Bereich des zentralen Texas lieferten vielmehr Hinweise, dass möglicherweise indigene Amerikaner bereits vor der Ankunft von Christoph Kolumbus Wein aus Wildreben hergestellt haben – chemische Rückstände auf Scherben aus der Toyah-Periode (ca. 1300–1600 n. Chr.) legen das nahe. 28 falstaff mai 2022

Fotos: akg-images / picturedesk.com, Bloomberg / Getty Images, Shutterstock, Corbis / Getty Images ZEIT DER PIONIERE Die Geschichte der Weinkultur auf dem Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten beginnt in jedem Fall bereits vor der Unabhängigkeitserklärung der britischen Kolonien im Jahr 1776. Auch wenn der Weinbau heute seinen Schwerpunkt an der Westküste der USA hat, so liegen die Anfänge der gezielten Herstellung von Wein, sei es als Genussmittel oder für den Messdienst, in den Siedlungsgebieten östlich der Rocky Mountains. Für eine annähernd präzise Wiedergabe der sehr bewegten amerikanischen Weingeschichte der letzten 450 Jahre müsste man viele Bände füllen, denn sie spielte sich in mindestens 33 der heutigen Bundestaaten und unzähligen historischen, teils heute längst verschwundenen Weinbergen ab. Zu den prägenden Gestalten gehörten Gouverneure und Präsidenten, Priester und Journalisten, Professoren und Temperenzler (Vertreter der Abstinenzbewegung) sowie unerschrockene Weinbaupioniere mit Wurzeln in allen europäischen Ländern mit Weinanbau. Namen wie Lord Delaware, William Penn, Thomas Jefferson, Captain J. Sutter, Ágoston Haraszthy oder Robert Mondavi haben unauslöschliche Spuren in Form von zahllosen Anekdoten, Büchern und Filmen hinterlassen. Und doch wissen heute nur einige Amerikaner, dass noch vor weniger als 150 Jahren Zentren des US-Weinbaus Städte wie St. Louis, Cincinnati und Pittsburgh gewesen sind; durchaus verständlich, denn nachdem die dunklen Jahre der Prohibition dem Weinbau in weiten Teilen ein Ende gesetzt hatten, wurde dieser auf amerikanischem Boden erst mit dem Aufstieg Kaliforniens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von US-Weinliebhabern wieder wahr- und ernst genommen. Doch wer sich heute die Mühe macht, ein wenig abseits der allgemein bekannten Anbaugebiete nach der Vergangenheit der amerikanischen Weinkultur zu fahnden, wird erstaunt sein, wie vielfältig – wenngleich auch oft nur von absolut regionaler Bedeutung – das Angebot von »wine made in the USA« tatsächlich ist. EINHEIMISCHE SORTEN MIT NAMEN WIE CATAWBA ODER SCUPPERNONG STANDEN AM ANFANG DER AMERIKANISCHEN WEINPRODUKTION. DIE TRAUBEN SIND SCHON DA Der Titel, sich als erste Winzer Nordamerikas bezeichnen zu dürfen, gebührt jenen französischen Hugenotten, die bei ihrer Ankunft in Florida zu ihrem Erstaunen wild wachsende Trauben – man benannte die Sorte später nach dem Fluss Scuppernong – vorfanden und prompt zwischen 1562 und 1564 ihre erste Weinproduktion umsetzten. 1585 wurde von englischen Siedlern auf Roanoke Island vor der Küste North Carolinas ein Weinberg angelegt, er heißt noch heute »the mother vineyard«. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft haben 1609 auch die englischen Siedler von Jamestown in Virginia ihre ersten Vinifikationen mit wilden Reben unternommen. 1623 feierten die Pilgerväter von der Mayflower in Plymouth, Massachusetts, das Thanksgiving-Fest bereits mit selbst gekeltertem Wein. Die Scuppernong-Sorten gehören zur Gattung Vitis Rotundifolia, haben runde Früchte und Blätter, die Beeren sind groß wie Ringlotten und haben eine dicke Haut. Sie eignen sich gut zur Produktion von Als die ersten Siedler aus Europa eintrafen, fanden sie bereits Reben mit Trauben vor. Früh begannen demnach auch die ersten Versuche, Wein herzustellen. Weinbau im Staat New York um 1910 (u.). GO WEST < mai 2022 falstaff 29