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Falstaff Living Ausgabe 2/2019

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essay WOLFGANG PAUSER

essay WOLFGANG PAUSER HOLZ ALS MEDIUM UND BOTSCHAFT Holz liegt im Trend, und zwar seit Jahrtausenden. Entsprechend vielgestaltig waren die Formen seiner Kultivierung. Aktuell ist es ein anti kulturelles Medium zur Symbolisierung von Natur. Papier ist geduldig (wie sehr, werden Sie gleich merken, wenn Sie weiterlesen). Es ist die geduldigste Form von Holz. Auch wenn man daraus Origami-Tiere und Papierflieger bauen kann, ist es sein erster Zweck, alles Farbige, Strukturierte, Materielle und Körperliche zu opfern, um ganz und gar als Medium für die Einschreibung beliebiger Bedeutungen zu dienen. Weiß, glatt und dünn, verschwindet es beinahe aus unserer Wahrnehmung, weil wir alle Aufmerksamkeit seiner Beschriftung zuwenden. Im antiken Griechenland war das Wort »Holz« (hyle) gleichbedeutend mit dem philosophischen Begriff »Materie«. Das, woraus etwas ist, das Material einer Form. Dicker und damit körperlicher als Papier, doch zugleich dünner als das zum Bauen eines Möbels verwendete Holzmaterial war und ist das Furnier. Seit 3400 Jahren schneidet man aus geeigneten Stämmen dünne Flächen, um sie zur Verschönerung und Wertsteigerung auf Holzmöbel zu leimen. Ein furniertes Möbel besteht sowohl aus Holz, das als Material betrachtet wird, als auch aus Holz, das rein mediale Aufgaben erfüllen soll. Die Tradition des Furniers stellt diese metaphysische Unterscheidung in der Bauart des Möbels dar. Die deutlichste kulturelle Unterscheidung zwischen Holz als Material und Holz als Medium wird in den Intarsien sichtbar. Sie sind abbildende und verzierende Grafiken aus aneinandergelegten Furnierplättchen hellerer und dunklerer Färbung. Astlöcher und Maserungen wurden als störend empfunden. In der Geschichte des Interieurs galt Holz als zu unansehnlich, um es dem kultivierten Blick zuzumuten. Es bedurfte der Beize und Politur, der Lackierung und Verzierung, der Beschichtung und Bebilderung. Zu unregelmäßig war dieses Material, um sich dem Gestaltungswillen unterzuordnen. Zu roh erschien dieser vorgefundene Rohstoff, als dass man ihn nicht hätte veredeln müssen. Zu sehr der Wildnis entsprungen und an den chaotisch gefährlichen Wald erinnernd, als dass man dieses derbe Outdoor-Phänomen so ohne Weiteres einer zivilisierten Indoor-Verwendung zuführen wollte. Die Spuren seiner Naturwüchsigkeit führten zum Ausschluss unbehandelten Holzes aus der Kultur. Den letzten großen Hype erlebte die Furniertechnik in den 1970er-Jahren, als das dunkelbraune Tropenholz Mahagoni in Mode kam, was die Preise so sehr in die Höhe trieb, dass man es sich bald nur noch zur Beschichtung von Spanplatten leisten konnte. Im selben Jahrzehnt ereignete sich der große Bruch in der Geschichte der Holzoberfläche. Ikea prägte den Wohnstil der jungen Generation mit Kiefernholz, das auffallend hell, unbehandelt und von dunklen Ein Stück dieses antizivilisatorischen Naturbegriffs lebt auch in der gegenwärtigen Möbelmode weiter. Fotos: beigestellt 90 falstaff LIVING 02 / 19

Astlöchern möglichst chaotisch gepunktet eine Revolution gegen die wohlgeordnete dunkle Schwere der elterlichen Mahagonihöhle ausrief. »Naturbelassen« war das Wort der Stunde. Die aufstrebende Öko-Bewegung fand darin ihre erste Repräsentation im Wohndesign. Die von der rohen Oberfläche visualisierte Billigkeit ließ den Konsum von Ikea-Möbeln auch als Ausdruck einer (wenn auch nur prinzipiellen) Konsumverweigerung erscheinen. In der demonstrativen Naturbelassenheit der Holzoberflächen artikulierte sich eine ganz grundsätzliche Zivilisationskritik. Wer so wohnte, trug dazu passend lange Haare gleichsam als ungerodetes Gestrüpp und gerierte sich als eine Mischform aus Jesus Christus und Rousseaus »Edlem Wilden«. Ein Stück dieses antizivilisatorischen Naturbegriffs lebt auch in der gegenwärtigen Möbelmode weiter, doch mit dem wesentlichen Unterschied, dass heute wieder mit viel Aufwand bearbeitet und gestaltet wird, damit die Oberfläche noch natürlicher als die Natur erscheint. Nicht eine Beschichtung, sondern eine Bloßlegung des Inneren, Wahren, Ursprünglichen und Natürlichen ist das Ziel handwerklicher Bearbeitung. Der luxuriöse Tisch von heute ist von Sprüngen zerklüftet, hat keine geraden Seiten und eine unebene Fläche. Sofern die Spuren des Holzfällers nicht mehr sichtbar sind, greift der Oberflächendesigner gern zur Motorsäge, um dem Werkstück ins Fleisch wühlende Narben roher Gewalttätigkeit als Zierde beizubringen. Zu langweilig ist nun das gerade Holz der Stämme, man sucht mit viel Aufwand nach einem ganz besonders unregelmäßigen Baumstrunk, der bisher als wertlos verworfen wurde. Hat dessen Fläche zu viele Löcher und Risse, werden diese mit transparentem Kunststoff gefüllt, um trotz aller Urwüchsigkeit dem Tisch ein Stück Verwendbarkeit zu bewahren. Dieser wird nicht nur zerschrammt, sondern mitunter auch mittels Flammen verkohlt, um ihm eine kleine Erzählung vom Derben und Rohen einzuschreiben. Das Naturholz der 1970er-Jahre folgte dem zweiwertigen Code »natürlich« versus »zivilisiert«. Es setzte dem Jahrtausendprinzip hölzerner Holzverdeckungen das simple Gegenteil des unbehandelten Naturmaterials entgegen. Der heutige Code der Holzmythologie ist komplexer. Gestaltung wurde nun dem Natürlichen zugeschlagen, sofern sie nicht industriell, sondern von »natürlicher« Menschenhand erfolgt – auch wenn der Handwerker mit der Schrotflinte Wurmlöcher schießt. Leitdifferenz ist nun das authentisch Gewordene im Gegensatz zur puren Präsenz des spurlos neuen Industrieprodukts. Damit ist die Zeitachse zum Hauptthema aufgestiegen. Auf dieser ist die Natur als gemeinsamer Ausgangspunkt mehrerer Erzählstränge einge tragen. Holz war immer schon ein Medium – heute ist es zugleich seine eigene Botschaft. DR. WOLFGANG PAUSER war in den 1990er-Jahren Kolumnist für DIE ZEIT. Seitdem analysiert er Produkte aus kultur - wissenschaftlicher Perspektive im Auftrag von Unternehmen und Agenturen. Neben die Jahresringe als Wachstumssymbol sind Spuren der Verwachsungen, Behinderungen und Verletzungen des Baums während seiner Lebenszeit getreten. Auf die Baumgeschichte folgt die Geschichte seiner Fällung, ein dramatischer Zweikampf Mensch gegen Wald. Das nächste Kapitel gilt der Transportgeschichte. Historische Brand zeichen und Markierungsschablonen werden nun gern zur Verzierung von Holzoberflächen verwendet. Es folgt die Bearbeitungsgeschichte mittels antiquierter Werkzeuge wie einem Handhobel, der ordentlich Scharten hinterlässt. All diese fiktionalen Geschichten werden heute der Tischplatte eingeschrieben. Sie wird zum Dokument eines aus Spuren von Verletzungen lesbaren Schicksals, das sich als Individuation und Charakterbildung im Tisch summiert und verewigt hat. Als Erzählender wird der Tisch gleichsam zu einem beseelten Wesen. Anders als beim Furnier benötigt der »urige« Holztisch keine gesonderte mediale Schicht, um mitteilsam zu werden. Ähnlich wie beim geglätteten Papier steht seine aufgeraute Oberfläche ganz im Dienste des Märchenerzählens. Beschrieben ist er mit Zeichen, die sich mühen, wie Narben als Anzeichen gelesen zu werden. Das Holz von heute braucht keine Verblendung, um uns zu verblenden. Holz war immer schon ein Medium – heute ist es zugleich seine eigene Botschaft. Diese verweist auf seine Materialität zurück und thematisiert das Holz als natürlichen Rohstoff. Kultur war bis vor nicht allzu langer Zeit ein gegen die Natur gerichtetes Programm. Dies war der Sinn aller veredelnden Oberflächengestaltung. Erst die gegenwärtige Kultur zielt auf Entkultivierung, strebt dem Rohen und Natürlichen zu. Mit raffinierten Mitteln macht der Designer das Holzbrett roh und kultiviert es damit zum Mythenträger des Antikulturellen. Kultur ist heute reflexiv und paradox. Sie thematisiert sich selbst, indem sie sich negiert. 02 / 19 LIVING falstaff 91

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