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Falstaff LIVING 5/2019

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essay WOLFGANG PAUSER

essay WOLFGANG PAUSER DER DINGE LAST UND LUST Dinge haben heute einen schweren Stand. Wir sollen keine mehr kaufen und uns von denen, die wir haben, »befreien«. Was man einst Armut nannte, weckt Begeisterung und verspricht Prestige. Wie viele Dinge braucht der Mensch? 10.000 besitzt jeder Österreicher im Durchschnitt. Wie es um das »Brauchen« steht, wird mit wachsendem Eifer diskutiert. Verengt man den Begriff auf funktionale Nützlichkeit im Gebrauch, verliert man das Verständnis für die realen Zahlen an Habseligkeiten. Brauchen kann aber auch seelische Bedürftigkeit bedeuten. Nicht nur zu einem geliebten Menschen sagt man gern: »Ich brauche dich!« Auch auf Dinge richtet sich der Beziehungswunsch. Begehren ist eine Art prinzipielles Fehlen von etwas, das die innere Lücke zu füllen verspricht. Das Konsumding ist gut geeignet für diese psychische Funktion. Moderne Produkte sind primär an seelische Bedürfnisse adressiert, das Gebrauchen spielt eine untergeordnete Rolle. Dass Waren als äußerliche Werte gelten, ist bloß eine Rationalisierung der mitunter peinlichen Tatsache, dass sie ganz überwiegend für das Innere von Wert sind. Konsumdinge sind heute innere Werte, weil die emotionale Beziehung zu ihnen ihr wahrer Daseinsgrund ist. Zu den Beziehungsdingen des Menschen gehören auch die Dingbeziehungen. Im konsumkritischen Diskurs des »Minimalismus« verschmelzen zwei widersprüchliche Imperative: Einerseits sollen wir in der Erwartung einer klimatischen Apokalypse auf weiteres Konsumieren verzichten. Andererseits sollen wir die Dinge, die wir bereits besitzen, loswerden, verschenken, auf Plattformen an arme Menschen verkaufen, recyceln oder mülltrennend entsorgen – die leere Wohnung gilt als Ideal. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hortete man alte Dinge, um sich nichts Neues kaufen zu müssen. Dieser Logik folgend müsste auch heute nicht nur zum Verzicht aufs Kaufen, sondern auch zum Behalten und Sammeln von Dingen aufgerufen werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Aus der Simplify-your-Life- Bewegung ist der Minimalismus als Lifestyle-Trend hervorgegangen. Minimalisten geht es um die Abwesenheit von Dingen. Schon Gekauftes wegzugeben und nichts mehr Neues zu kaufen, sind nur die beiden ergänzenden Werkzeuge, mit denen sie ihr Ziel eines möglichst dingfreien Lebens erreichen wollen. Wie weit das gehen soll, wird noch diskutiert. Minimalismus beginne erst, wenn man weniger als 100 Dinge besitze (wobei Socken einzeln zu zählen seien), meinen manche Autoren. Nur, was in einen Koffer passt, fordern die strengsten Verzichter. Um die »Eliminierung des Materiellen« hat sich ein Wettbewerb aufgeschaukelt. Mit indischen Nagelbrett-Fakiren und Kafkas Hungerkünstler als Vorbilder demonstrieren Influencer ihren Communitys, wie man ein Jahr lang dingfrei überleben kann und wie befreit sich das anfühlt. »Begehren ist eine Art prinzipielles Fehlen von etwas, das die innere Lücke zu füllen verspricht. « Fotos: beigestellt 90 falstaff LIVING 05 / 19

Der Simplify-Bewegung ging es anfänglich nur um Befreiung vom überflüssigen Ballast der Staubfänger, um das Aufräumen und Ausmisten vollgeräumter Wohnräume, damit diese sich in Freiräume verwandeln für Gegenwärtiges. Der aktuelle Minimalismus hat dem auf Seelenreinigung zielenden praktischen Frühjahrsputz ganz zeitgemäß ein symbolisches Öko-Hütchen aufgesetzt. Auch wenn eine geleerte Wohnung nichts zur Weltrettung beiträgt, wird sie nunmehr als Demonstrationsobjekt und Zeichen für eine prinzipielle Haltung des Konsumverzichts interpretiert und moralisch geadelt. Das funktioniert freilich nur bei realer Nicht-Armut. Wirklich Armen fehlt nicht nur das »Bewusstsein« der Minimalisten, sie haben gar nicht die finanzielle Möglichkeit für einen demonstrativen Verzicht, aus dem sich Prestige und moralischer Wert ziehen ließen. Wer unfreiwillig ohne Güter lebt, wird sich das Heldentum einer ökologischen Armutsavantgarde schwerlich auf die Fahnen schreiben können. Nur jene Armut, die man selbst absichtsvoll herstellt (etwa als Aussteiger) oder stilistisch simuliert, taugt zur Inszenierung einer Negationsform von Konsum. Das Befreiende am Dingverzicht besteht darin, dass man sich nicht nur von nutz losen Utensilien trennt, sondern sich auch aus der emotionalen Beziehung zu ihnen löst. Beziehungen erzeugen Bindungen, und egal, ob man sich von einem Partner oder einem Ding trennt, man ist danach ungebunden und in genau diesem Sinne frei, flexibel und mobil. Dennoch sollte man sich im einen wie im anderen Fall genau überlegen, was die Entscheidung für Beziehungslosigkeit dem Leben bringt. Wie es um unsere seelischen Beziehungen zu den Dingen bestellt ist, zeigt sich recht deut - lich in Extremfällen. Ein Messie etwa, der es nicht einmal übers Herz bringt, einen Pizzakarton wegzuwerfen, ist oftmals von »Nur jene Armut, die man selbst absichtsvoll herstellt (etwa als Aussteiger) oder stilistisch simuliert, taugt zur Inszenierung einer Negationsform von Konsum.« DR. WOLFGANG PAUSER war in den 1990er-Jahren Kolumnist für DIE ZEIT. Seitdem analysiert er Produkte aus kultur - wissenschaftlicher Perspektive im Auftrag von Unternehmen und Agenturen. Verlustängsten getrieben, die er aus (un)menschlicher Erfahrung in die Dingwelt projiziert. Manche fürchten unbewusst, es werde ihnen etwas wegge nommen; wieder andere vermeiden das metaphorische Allein gelassenwerden von libidinös besetzten Objekten; und wer im eigenen Müll versinkt, erweitert seine Ich-Grenze in den intimisierten Wohnraum, bis dieser lückenlos voll zu ei - nem imagi nären Teil des eige - nen Körpers wird. Dinge sind also nicht so harm los, wie sie dem funktio nalen Denken erscheinen. Sie können sogar allmächtig werden und den an sie gebundenen Menschen in Gefangenschaft nehmen. Beim Aussortieren merkt man, dass in jedem Ding ein eigener Geist haust. Etwas moderner könnte man diesen Geist Kon text nennen, Bedeutung, Gedächtnis, Bindung und emotionale Beziehung. Der alte Kram ist ein Stück ausgelagertes Gehirn. Nimmt man ein Stück zur Hand und beginnt, über behalten oder abstoßen zu grübeln, fallen ei - nem viele Ereignisse ein, an die man sonst nie mehr gedacht hätte. Das Ding erzählt nicht nur seine Gebrauchsgeschichte, sondern auch Familiengeschichte, Kulturtraditionen, Wirtschaftsund Technikgeschichte. Es ist ein Speicher des Wissens wie auch aller Gefühle, Menschen und Beziehungen, die es begleitet hat. Bei Erbstücken ist entscheidend, wer sie hatte. War es eine verhasste Person, wird man das Ding mit einem Schwung, in dem sich aller aufgestaute Grimm entlädt, in den Müllsack schleudern. Die Pfeife des geliebten Großvaters hingegen wird man auch als Nichtraucher verführt sein, so in Ehren zu halten, als könnte sie ihren verlorenen Be sitzer vertreten. Hochzeitserinnerungen werden gern bei der Scheidung entsorgt. Wer für ein Ding gemischte Gefühle hegt, fotogra - fiert es und behält es digital, damit der Verlust der dreidimensionalen Version weniger Abschiedsschmerz bereitet. Vielleicht ist das Verachten und Verwerfen der Dinge, selbst wenn man sie recycelt, gar nicht die beste Lösung für das ökologische Problem des Konsums. Anstatt so zu tun, als hätten wir keine Beziehung zu den Sachen, könnten wir versuchen, sogar mehr Liebe zu den Dingen zu entwickeln. Und unsere Beziehungen nicht nur zu den Menschen, sondern auch zu den Dingen bewusster pflegen und kultivieren. Das hieße auch, anspruchsvoller zu werden, beim Kaufen wie beim Behalten. Weniger wertvolle Dinge verkaufen, um wertvollere zu erwerben. Anstelle der Haltung des Hungerkünstlers wäre die des Museumskurators nicht nur erfreulicher, sondern auch nachhaltiger. Schließlich entscheidet die Bedeutung, die ein Ding für uns hat, ob wir mit ihm eine Jahrhunderte dauernde Liebesbeziehung eingehen wollen. 05 / 19 LIVING falstaff 91

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